2. GÖTTINGER GEGENSTEMPEL AUF SPÄTMITTELALTERLICHEN GROSCHENPRÄGUNGEN (14.-15. JAHRHUNDERT)
Nachdem die Bevölkerung des deutschen Reichs bis ins zwölfte Jahrhundert vorwiegend auf dem Land lebte, begann seitdem die Periode der Städtegründungen bis in die Mitte des 14. Jahrhundert hinein (Sprenger 2002, 59). Damit einhergehend konzentrierte sich dort zunehmend die gewerbliche und handwerkliche Produktion, was die städtischen Märkte als Handelszentren herausbildete und die Geldwirtschaft wachsen ließ. Die Münzrechte erhielten zunehmend die Territorialfürsten, anstelle des Kaisers (Sprenger 2002, 60). Der Pfennig als einzige Währung, noch aus der Zeit Karls des Großen kommend (Krusy 1974, 23), reichte für den sich ausdehnenden städtischen Handel und die zunehmend überregionale Wirtschaft nicht mehr aus. Es ist demnach nicht verwunderlich, dass sich Ende des 13. Jahrhunderts entscheidende Änderungen im deutschen Geldwesen vollzogen. Neue Geldsorten kamen auf, zunächst insbesondere Silbermünzen, wie die Turnose aus Frankreich (1266), der Kreuzer aus Tirol (1271), oder der Prager Groschen (1298) (Sprenger 2002, 73-74, 60). Später verbreitete sich zudem der meißnisch-sächsische Groschen (1339) über weite Teile des deutschen Reichs (Sprenger 2002, 75-76). Aber auch Goldmünzen, wie der Floren aus Florenz (1252), seit Beginn des 14. Jahrhunderts in Deutschland unter dem Begriff Gulden bekannt, oder die Dukaten aus Venedig (1284) (Sprenger 2002, 77-78).
Doch mit der für die Wirtschaft durchaus förderlichen Ausdifferenzierung des Geldwesens wurde dieses gleichzeitig immer unübersichtlicher. Immer häufiger wurden Münzsorten gefälscht, oder deren Feingehalt von der eigenen Prägestätte herabgesenkt, um Profit für die Münzherren zu generieren. Dazu kamen zahlreiche Münzverrufungen oder Münzfußwechsel (Krusy 1974, 23). Um in dieser unsicheren und unübersichtlichen Lage Abhilfe zu verschaffen wurden zwischen manchen Städten Münzverträge geschlossen oder auch Münzvereine, wie beispielsweise der Rheinische Münzverein (1386), gegründet (Sprenger 2002, 83-86). Doch diese Bemühungen führten nicht zum Ziel einer einheitlichen Währung. Und so erlebte Deutschland 1458-1460 sogar die erste Inflation (Sprenger 2002, 92). Beachtet man zudem, dass der Großteil der Bevölkerung in dieser Zeit weder Lesen noch Schreiben konnte, ist der starke Vertrauensverlust in das Geldwesen, sowie die große Unsicherheit über den Wert einzelner Münzen, leicht vorstellbar. Doch auch die Städte litten unter dieser Situation, die den Handel zunehmend lähmte. Und so folgten im 14. Und 15. Jahrhundert auch in kleinerem territorialen Rahmen immer wieder Versuche, das Geldwesen zu vereinheitlichen und den Wert einzelner Münzsorten zu erhalten. Eine Methode war das Gegenstempeln der umlaufenden Geldsorten.
Dazu wurden kleine, meist wenige Zentimeter große Stempel mit Buchstaben oder Zeichen in landesfremde Münzen geprägt, um diese zu einem bestimmten Wert für gültig zu erklären. Angeregt war diese Vorgehensweise wohl von den bereits lange etablierten Garantiestempeln auf den im Handel verwendeten Silberbarren (Krusy 1974, 23). Insgesamt sind heute mehrere hundert verschiedene dieser Zeichen bekannt (Sprenger 2002, 77). Speziell im niedersächsischem Raum muss die Gegenstempelung um 1390 begonnen haben, für Göttingen ist sie ab 16. August 1392 (Ropp 1907, 73, Nr. 62,6 „Statut über Münze und Wechsel“) urkundlich nachgewiesen (Schrock 1987, 19). Aufgrund der ständigen fiskalischen Ausnutzung des Münzrechts ist anzunehmen, dass die Münzherren das Geldwesen in dieser Zeit eher als Einnahmequelle für ihren Hof, denn als Dienst für den allgemeinen Handel sahen. (Sprenger 2002, 86) Daraus lässt sich schließen, dass die Träger der Gegenstempelung, welche das Geldwesen ordnen sollte, offensichtlich vorwiegend die Städte gewesen sein mussten (Krusy 1974, 31). Deren Bevölkerung war auf eine einheitliche Währung für den Handel angewiesen. Diese Annahme stützen auch die erhaltenden Urkunden, welche ausdrücklich 31 Städte als gegenstempelnde Institutionen nennen, wohingegen nur eine einzige urkundliche Nachricht einen Landesherrn als Veranlasser der Vornahme von Gegenstempelungen hervorgehen lässt (Krusy 1974, 31). Hier jedoch um die eigenen Prägungen zu kennzeichnen, nicht die landesfremden, mithin in anderem währungsgeschichtlichen Kontext. Für Göttingen ist durch die Urkunde von 1392 sogar eindeutig überliefert, dass hier die Stadt für die Gegenstempelung verantwortlich war, im Einvernehmen mit dem Herzog Otto von Braunschweig-Göttingen (Krusy 1974, 32).
Regeln bei der Stempelung sind kaum zu erkennen, Fundstücke zeigen die Zeichen heute sowohl auf dem Avers, als auch dem Revers der Münzen an immer unterschiedlichen Positionen (Krusy 1974, 26-27). Ebenso uneinheitlich wie die Kennzeichnung selbst schien auch deren Bewertung gewesen zu sein. In Westfalen sollten die Stempel beispielsweise die nach schlechterem Münzfuß ausgebrachten Nachahmungen der Turnosen markieren, und sie so von den besseren französischen Königsturnosen unterscheiden (Krusy 1974, 25). Andernorts, unter anderem auch in Göttingen, sollten dagegen nur die guten Groschen gestempelt werden (Krusy 1974, 25; Ropp 1907, 81, Nr. 71,2 „Statuten über Münze, Waffen und Wehrwesen“). In Erfurt wurde nach 1470 nach Gewicht der Münzen gestempelt (Krusy 1974, 25 und 402-404, Nr. 74-77). Davor wurde dort, wie auch in Mühlhausen, Nordhausen (Krusy 1974, 401, Nr. 66) und nach 1397 erneut auch Göttingen die Münzen unterschiedlich, ihrem Wert entsprechend, gestempelt (Krusy 1974, 25). Dabei ist nicht immer gesichert, dass verschiedene Stempelzeichen einer Stadt stets die Wertunterschiede der Münzen verdeutlichen sollten. So wird andernorts, wie beispielsweise in Hamm, Korbach und Unna, angenommen, dass diese dort lediglich Ausdruck verschiedener Stempelperioden waren (Krusy 1974, 28). Insgesamt ist mithin zu konstatieren, dass sich die Praxis der Gegenstempelung von Stadt zu Stadt stark unterschied. Wenn urkundliche Nachrichten dazu fehlen, ist es daher schwierig, die einzelnen Stempel in ihrem Wert, sowie deren Dauer der Nutzung zu bestimmen.
So ist in Göttingen beispielsweise seit 1397 die unterschiedliche Stempelung bezeugt, es bleibt jedoch unklar mit welchen Zeichen (Schrock 1987, 22.; Ropp 1907, 81, Nr. 71,2 „Statuten über Münze, Waffen und Wehrwesen“ Nov.-Dez. 1397). Der Fund von Gandersheim – Gandersheim (Niedersachsen), verborgen 1395-1400 / gefunden 1892, 1.124 Silbermünzen, davon 1 mit Gegenstempel – zeigte, dass bereits seit 1392 ein einfaches G als Gegenstempelzeichen der Stadt Göttingen gebraucht wurde.
(Krusy 1974, Tf. 3: G2,1-G2,19). In der Forschung wird angenommen, dass dieses die Geldsorten mittleren Wertes in Göttingen kennzeichnen sollte (Krusy 1974, 97). Zudem zeigen erhaltene Münzen das einfache G zusammen mit einer Rose.
(Krusy 1974, Tf. 3: G2,20-25 in Verbindung mit G2,1-G2,19). Dies zeichnete wohl die Groschen, welche gerade noch mit geringstem Feingehalt des Stempelns wert waren (Krusy 1974, 97). Die aktive Stempelung dieses Zeichens wurde 1435 eingestellt (Krusy 1974, 97; Ropp 1907, 289, Nr. 225 „Ordinarius“, Kapitel „Münze“ 4. Urkunde vom 17. Juni 1435), die unterschiedliche Bewertung dieser Groschen zu denen mit G ohne die Rose wurde jedoch erst 1471 aufgehoben (Krusy 1974, 97; Ropp 1907, 515, Nr. 293 „Münze“, Fußnote 1. Beschluss vom 4. Dez. 1471). Es ist allgemein anerkannt, dass die besten Groschen wohl durch ein gekröntes G (Krusy 1974, Tf. 3-4: G2,26-G2,39) gekennzeichnet wurden.
Den Gebrauch dieses Zeichens vermutet Krusy seit 1441. Jede dieser drei Stempelungen gab es in verschiedenen Varianten. So konnte das unterschiedlich groß gezeichnete G mit Punkten enden oder ausgefüllt sein, die Rose aus fünf oder sechs Kugeln um die Innenkugel oder einen sechsstrahligen Stern herum bestehen, und die dreizackige Krone größer oder kleiner geformt sein. Zum aktuellen Zeitpunkt sind Meißner, Hessische, Heiligenstädter und Prager Groschen bekannt, die mit einem Göttinger Gegenstempel versehen wurden (Krusy 1974, 98-106). Gefunden wurden die Münzen dabei in Göttingen und Umgebung, aber auch darüber hinaus beispielsweise in Erfurt, Hassel, Hägerfeld, Treysa, Aufhofen und an weiteren Orten (Krusy 1974, 106-107).
Auch über die Praxis der Gegenstempelung im Allgemeinen gibt es aus Göttingen eine vergleichsweise dichte Quellenlage (Krusy 1974, 96). So ist neben der Urkunde von 1392, in welcher der Herzog sich mit den Städten einigt, die guten Groschen zu zeichnen, das Vornehmen von Gegenstempelungen durch Angestellte der Stadt bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts gut belegt. In den Jahren 1422 (Ropp 1907, 288-289, Nr. 225 „Ordinarius”, Kapitel „Münze“ 2. Urkunde vom 6. September 1422), 1434 (Ropp 1907, 289, Nr. 225 „Ordinarius”, Kapitel „Münze“ 3. Urkunde vom 1. September 1434) und 1435 (Ropp 1907, 289, Nr. 225 „Ordinarius”, Kapitel „Münze“ 4. Urkunde vom 17. Juni 1435)wurde der Göttinger Goldschmied und Bürger Cord van Esebeke (auch Curd/ Curde van Esbeke/ Eszbecke) durch den Rat beauftragt böhmische Groschen zu zeichnen (Scheffler 1965, 371: Esebeke ist als Goldschmied und Bürger 1429, 1436 und 1441 urkundlich nachweisbar). Abgelöst wurde dieser 1441 von Helmold Wulff (Ropp 1907, 165, Nr. 161 „Zeichnung der böhmischen Groschen“ Urkunde vom Nov. 1441).
Vier Jahre später ist die Gegenzeichnung von Groschen in Göttingen weiterhin dadurch belegt, dass ausdrücklich nur noch diese und die eigenen Göttinger Münzen und Gulden in Göttingen gültig sein sollten (Ropp 1907, 169, Nr. 169 „Verruf fremder Münzen“ Urkunde vom 12. Mai 1445). Auch in den darauffolgenden Jahren 1459 (Ropp 1907, 484, Nr. 279, 35 „Statuten über Brauwesen, Wein, Strassenpolizei, Schlachten, Flachsrösten, Darren, Münze, Vorkauf, Seelbäder“ Urkunde vom Oktober 1459), 1461 (Ropp 1907, 194-195, Nr. 200 „Verkündigung eines Münzvertrags sächsischer Städte“ Urkunde vom 20. Mai 1461), 1467 (Ropp 1907, 499, Nr. 288, 1 „Münze, Spottgedichte, Spiele“ Urkunde vom 7. Juni 1467) und 1468 (Ropp 1907, Nr. 289, 68 „Statuten über Schoss, Brauwesen, Wein, Strassenpolizei, walkenrieder Zehnten, Schlachten, Flachsrösten, Darren, Münze, Vorkauf, Korn“ Urkunde vom 23. Oktober 1468) werden die in Göttingen gezeichneten fremden Groschen als gültige Geldsorten der Stadt aufgeführt und bestätigt. Zwischendurch ist ein weiterer Auftrag von 1451 (Ropp 1907, 289, Nr. 225 „Ordinarius”, Kapitel „Münze“ 5 Urkunde vom 12. Mai 1451) zur Gegenstempelung böhmischer und landgräflicher Groschen an Herman Wulf bekannt.
Im Jahre 1471 (Ropp 1907, 514-515, Nr. 293, 4. „Münze“ Urkunde vom 7. Juli 1471) folgte die Anordnung, dass jeder Bürger Göttingens fremd gezeichnetes Geld bis zum 1. Dezember 1471 loszuwerden hatte, was zeigt, dass zu dieser Zeit wohl viel falsch gestempeltes Geld aus anderen Städten in Göttingen im Umlauf war. Jenes sollte laut dem Beschluss vom 4. Dezember 1471 (Ropp 1907, 514-515, Nr. 293, 4. „Münze“, Anm. Urkunde vom 7. Juli 1471) von diesem Tag an von einem Sachverständigen in der Wechselstube beim Weinkeller durch eine Kreuzstempelung gekennzeichnet und damit ungültig gemacht werden. Interessant ist zudem, dass es wohl auch Missbräuche der Methode der Gegenstempelung in dieser Zeit gegeben haben muss. So belegen zwei Schriftzeugnisse, dass 1465 Falschmünzer verbrannt wurden, da sie fremde Groschen unerlaubter Weise mit einer Rose und einem G, und einer Krone über dem G gegenstempelten (Krusy 1974, 96 und 401, Nr. 67- 68, Urkunden vom 23. März 1465 und vom 30. März 1465).
Zwar zeigen Funde, dass gegengestempelte Groschen aus Göttingen noch weit bis ins 16. Jahrhundert im Zahlungsverkehr anzutreffen gewesen sein müssen. Doch sind über die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts hinaus keine Belege für die Praxis der Gegenstempelung in Göttingen mehr bekannt. Auch andernorts wurde das Durchführen dieser Maßnahme immer seltener. Der Hauptgrund dafür war wohl das Fehlen eines einheitlich großflächigen Zusammenarbeitens der Städte (Krusy 1974, 23). Dies zeigen bereits die Urkunden Göttingens von 1459 und 1471, welche die Gegenstempelungen anderer Stempelträger ausdrücklich nicht anerkennt und auswärts gestempelte Groschen gänzlich im Zahlungsverkehr verbieten (s.o.). Zwar sind einzelne Verbünde bekannt, wie beispielsweise der Schwäbische Münzbund (1428-1431), jedoch hatten selbst diese meist keine einheitlichen Zeichen. Manche heute bekannten Münzen tragen bis zu 5 unterschiedliche Gegenstempel, teilweise sogar von benachbarten Städten. So zeigt beispielsweise eine Prager Grosche aus dem Fund Hassel – Hassel bei Kappenberg, Kreis Lüdinghausen (Westfalen), verborgen nach 1489 / gefunden 1865, 78 Gold- und 1.370 Silbermünzen, davon 174 mit Gegenstempel – Stempel aus Korbach, Lippstadt, Marburg, Soest und Warburg. Auf anderen Münzen sind die Kennzeichen so genau übereinander eingeschlagen, dass das darunterliegende jeweils fast unkenntlich gemacht wurde. Es scheint, als hätte ein Gegenstempel stets nur im Einflussgebiet der betreffenden Stadt Gültigkeit besessen (Krusy 1974, 24). Von einer Ordnung und Vereinheitlichung des Münzwesens, welche das einzige Ziel der Gegenstempelungen war, kann damit letztlich keinesfalls die Rede sein.
Literatur
- Krusy 1974 = Krusy, Hans. 1974. Gegenstempel auf Münzen des Spätmittelalters. Frankfurt a.M.: Numismatischer Verlag P. N. Schulten.
- Ropp 1907 = Ropp, Goswin Freiherr von der. 1907. Göttinger Statuten. Akten zur Geschichte der Verwaltung und des Geldwesens der Stadt Göttingen bis zum Ausgang des Mittelalters. Hannover: Hahnsche Buchhandlung Verlag (https://archive.org/details/bub_gb_GkIKAAAAIAAJ).
- Scheffler 1965 = Scheffler, Wolfgang. 1965. Goldschmiede Niedersachsens. Daten Werke Zeichen. 1. Halbband: Aerzen – Hamburg. Berlin: De Gruyter Verlag.
- Schrock 1987 = Schrock, Ulrich E. G. 1987. Münzen der Stadt Göttingen. Bremen: Bieber Luck-Lehne.
(Lara Luise Stahnke)
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