5. DIE KIPPER- UND WIPPERZEIT (1618-1623)
Ein systemisches Problem des Heiligen Römischen Reiches war die mangelnde Durchsetzungsmächtigkeit der Zentralgewalt. Jeder Landesfürst nahm für sich das Recht in Anspruch, selbst Münzen zu prägen. Zusammen mit den aus dem Ausland hereinfließenden Münzen entstand so eine massive Münzzerrüttung in den deutschen Ländern. Da die jeweiligen Münzen unterschiedliche Feinmetallanteile, Gewichte und Münzfüße besaßen, mussten in den Ländern und Städten jeweils komplizierte Tarifierungslisten erstellt werden. Um dem Wildwuchs der Münzprägungen Herr zu werden, wurde im Jahre 1521 auf dem Reichstag zu Worms beschlossen, dass Münzen nur noch in dafür festgelegten Kreismünzstätten geprägt werden dürften. Diese Regelung konnte sich aber nicht durchsetzen. Am 10. November 1524 wurde zu Esslingen von Kaiser Karl V. die erste Reichsmünzverordnung erlassen, mit welcher versucht wurde, einheitliche Reichsmünzen und einheitliche Tarifierungen festzulegen. Sowohl diese Reichsmünzordnung als auch die am 28. Juli 1551 beschlossene erste Augsburger Reichsmünzordnung verpufften relativ wirkungslos. Erst mit der zweiten Augsburger Reichsmünzordnung vom 19. August 1559, die im Jahr 1566 durch den Augsburger Reichsabschied ergänzt wurde, konnte eine gewisse Stabilisierung erreicht werden.
Ein weiteres systemisches Problem des Münzwesens bestand darin, dass die umlaufenden Münzen nach einer gewissen Zeit deutlich weniger Feinmetall enthielten als vorgesehen war. Theoretisch erhielt zwar jede Münze während der Münzprägung entsprechend dem Münzfuß den gleichen Anteil an Feinmetall. Aufgrund der damaligen handwerklichen Arbeitsweise kam es allerdings regelmäßig vor, dass nicht alle Münzen ein absolut gleiches Gewicht besaßen; einige Münzen waren produktionsbedingt etwas übergewichtig, andere etwas untergewichtig. Im Laufe der Zeit nahmen die Marktakteure die übergewichtigen Münzen aus dem Umlauf, um sie einzuschmelzen und durch das Mehr an Feinmetall einen Extraprofit zu erzielen. Gemäß dem Greshamschen Gesetz – benannt nach dem englischen Kaufmann Sir Thomas Gresham (1518-1579) – wurde so das gute vom schlechtem Münzgeld aus dem Markt gedrängt. Um gegen diesen schleichenden Wertverlust der Münzen vorzugehen, wurden immer wieder neue Münzen ausgegeben und alte Münzen verrufen. Das Problem konnte damit zwar abgemildert, aber nicht abschließend gelöst werden.
Gerade in unruhigen Zeiten, in denen sich eine allgemeine gesellschaftliche Anspannung breit macht, können sich solche systemischen Probleme verstärken und zu wahren Krisen heranwachsen. Der Beginn des 30-jährigen Krieges im Jahre 1618 hatte solch eine Verstärkerfunktion. Die Krise ergriff 1618 zuerst den Norden des Reiches, um sich dann schrittweise nach Süden fortzusetzen. Diese als Kipper- und Wipperzeit benannte Phase von 1618‒1623 leitet sich ab von den Verben “wippen” und “kippen”. Mit “Wippen” wird das Abwiegen (zweier Münzen) auf einer Schalenwaage bezeichnet; “Kippen” bezeichnet den Vorgang des Aussortierens (Ausseigen) der übergewichtigeren Münze.
Angesichts des herannahenden Krieges versuchten einige Landesherren schnellen Profit zu machen, indem sie entweder das Korn reduzierten, also den Feinmetallgehalt zugunsten von Kupferlegierungen senkten, oder das Schrot erhöhten, also mehr, aber leichtere Münzen aus der gleichen Menge Metall prägten. Beide Praktiken ließen sich auch kombinieren. Die beliebteste Kippermünze war der Groschen (1/24 Taler), dessen ursprünglicher Münzfuß bei 144 Stück aus der feinen Mark Silber lag. Doch bereits mit Beginn des Krieges wurden deutlich mehr Münzen aus der gleichen Menge Metall produziert: 1617/1618: 200, 1619: 260-270 und 1621: 330 pro feiner Mark (Jesse 1952:76).
Als nützlich erwies sich zudem, falsche oder missverständliche Nennwerte auf die Münze zu prägen. Auch Täuschungen über das Prägedatum waren beliebt, indem man entweder jegliche Jahreszahl fortließ oder Prägestempel rückdatierte, um Marktteilnehmer zu täuschen, welche darauf vertrauten, dass ältere Münzen noch deutlich mehr Edelmetall enthielten. Den Kippern kam dabei entgegen, dass beim alltäglichen Handel primär kleine Münzen verwendet wurden, die somit einen hohen Umlauf besaßen. Da die Handelspartner in der Regel nicht darin geschult waren, diese kleinen Wechselgeldmünzen auf Details zu prüfen, die über die Echtheit der Münze Aufschluss geben konnten, spezialisierten sich die Kipper auf die Produktion solcher Münzen. Dass gerade in den unteren Ständen viele Menschen nicht des Lesens mächtig waren und daher weniger auf Prägeinschriften als auf Wappen achteten, wurde durch die Kipper ausgenutzt, indem sie statt voller Landeswappen, nur Teile davon oder gar Fantasiewappen prägten (Klüßendorf 2009:16‒17). Selbst reine Kupfermünzen wurden als Silbergeld in Umlauf gebracht, indem man diese in Weinsteinsäure siedete, damit sie auf der Oberfläche einen silbrigen Glanz erhielten (Klüßendorf 2009:16).
Einige Landesfürsten konnten auf diesem Wege die eigene Kriegskasse füllen, um mit dem eingenommenen Silber Söldnerheere zu unterhalten. Andere nutzten die Gelegenheit, um den eigenen Staatshaushalt zu sanieren. Letztlich beteiligten sich fast alle Landesherren und Städte an diesen illegalen Praktiken, denn die Möglichkeiten der Bereicherungen waren zahlreich: Der Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel beispielsweise eröffnete innerhalb kurzer Zeit 32 neue Kippermünzstätten (Jesse 1952: 74, Klüßendorf 2009:19). Andere zogen indirekt Nutzen aus der Kipperei, indem sie ihre Münzstätten an windige Geschäftemacher verpachteten. Wieder andere schmuggelten ihr Kippergeld bewusst in überregionale Handelszentren, um es dort gegen andere Münzen zu wechseln. Besonders pfiffige Landesherren und Kaufleute sandten Wechsler in Städte und Dörfer aus, um hochwertige Silbermünzen von der Bevölkerung aufzukaufen; dabei boten die Wechsler den Verkäufern deutlich mehr an Nennwert an. Die Verkäufer erhielten den Gegenwert allerdings nur in Kippergeld. Nicht wenige Menschen gingen auf diesen Nepp ein und tauschten ihre mühsam ersparten Silbertaler “in dem Wahn, dadurch reicher zu werden, da man ja eine nominell höhere Summe erhielt” (Sprenger 2002:107).
Die Kipperei führte letztlich zu einer massiven gesellschaftlichen Umverteilung von Vermögenswerten. Wer über ausreichend Großsilbermünzen verfügte, konnte aus der Krise enormen Profit ziehen. War der Reichstaler beispielsweise in Hessen-Kassel 1618 noch 48 Albus wert, so stieg er im Verlauf des Jahres 1622 auf 288‒800 Albus (Klüßendorf 2009:15). Wer hingegen in Kleingeld entlohnt wurde oder seinen Handel (als Handwerker oder Kleinhändler) vorwiegend mit kleinen Münzen abwickelte, stürzte in Armut und Elend.
Der Wut über die Kipper und Wipper äußerte sich in Flugschriften und Spottgedichten (Jesse 1952:77). Der Zorn derjenigen, die sich geprellt sahen, sowie derjenigen, deren Festgehalt durch die Hyperinflation aufgefressen wurde, richtete dabei sich in erster Linie gegen die Wechsler, die Münzpächter und die Münzer, aber nicht gegen die eigentlich Verantwortlichen, nämlich die Landesherren, die das lukrative Kippermünzengeschäft erst ermöglicht hatten. In den Jahren 1622 und 1623 erreichten die Proteste und Tumulte ihren Höhepunkt (Sprenger 2002:108). So kam es beispielsweise im Februar 1622 zu einem größeren Aufstand in Magdeburg, der mit 16 Toten und über 200 Verletzten endete (Kindleberger 1991:166).
In den Jahren 1622 und 1623 begannen die Münzherren wieder zur Ausgabe guten Geldes zurückzukehren, wobei sie auf die Regelungen von 1559 und 1566 zurückgriffen. Für diesen Sinneswandel der Landesherren waren vor allem zwei Aspekte entscheidend: Zum einen wurde immer deutlicher, dass durch das umlaufende Kippergeld und die damit einhergehende Hyperinflation der Handel zerrüttet und in weiten Teilen zum Erliegen gekommen war. Zum anderen schienen die Steuererhebungen ernüchternd gewirkt zu haben, da jetzt billige Kippermünzen in Form von Steuereinnahmen in die Staatskasse zurückflossen (Sprenger 2002:109). Kippermünzen wurden drastisch abgewertet und schrittweise verrufen.
Auch die Stadt Göttingen hatte zwischen 1619 und 1622 eigene Kippermünzen unter den Münzmeistern Heinrich von der Ecke (Juli 1618‒1619), Steffen Ulmer (1619‒1620, 1622) und Hans Rukop (1620‒1622) herausgegeben (Schrock 1987:119, 121‒122, 124).
1 1/24 Taler der Stadt Göttingen
Stadt Göttingen. 1/24 Taler, Groschen, ohne Jahr [1619-1622], Göttingen.
Vs.: .MO.NO.GOTTI, gekröntes G
Rs.: .MATTIAS.ROM.S., Reichsapfel mit Nominalangabe 24, mit umlaufendem Band.
1,13 g.
Schrock 1987 Nr. 132 c.
Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Münzkabinett Inv.-Nr. 05:047:074.
2 1/24 Taler der Stadt Göttingen
Stadt Göttingen. 1/24 Taler, Groschen, ohne Jahr [1619-1622], Göttingen.
Vs.: MONOGOTTINGI, gekröntes G
Rs.: MATTI.I.RO.IMSA, Reichsapfel mit Nominalangabe 24, mit umlaufendem Band.
0,71 g. Schrock 1987 Nr. 131 c.
Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Münzkabinett Inv.-Nr. 05:047:076.
Neben Groschen (1/24 Talern), die in verschiedenen Varianten erschienen, waren dies vor allem verschiedene Pfennigmünzen, die “ohne Berücksichtigung eines bestimmten Münzfußes” (Schrock 1987:41) in großen Mengen geprägt wurden.
3 4 Pfennig der Stadt Göttingen
Stadt Göttingen. 4 Pfennig, Vierer, Matthiasgroschen, Matthier (= 1/2 Mariengroschen, = 1/3 Gutergroschen), 1621, Göttingen.
Vs.: gekröntes G
Rs.: * / 16 4 21 / *, im Vierpass mit Lilien, im oberen und unteren Abschnitt des Vierpasses je ein Blütenblatt.
2,415 g
Schrock 1987 Nr. 133 a.
Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Münzkabinett Inv.-Nr. 05:047:077.
Die Vier gibt den Nominalwert an, die 1621 das Prägejahr.
4 Vierer der Stadt Göttingen
Stadt Göttingen. 4 Pfennig, Vierer, Matthiasgroschen, Matthier (= 1/2 Mariengroschen, = 1/3 Gutergroschen), 1621, Göttingen.
Vs.: gekröntes G
Rs.:1621 / IIII / ….
1,385 g.
Schrock 1987 Nr. 135 b.
Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Münzkabinett Inv.-Nr. 05:047:088.
Jahreszahl in arabischen Ziffern, Nominalwertangabe in lateinischer Zählung, vier Punkte unter der Wertangabe.
5 Dreier der Stadt Göttingen
Stadt Göttingen. 3 Pfennig, Dreier, Dreiling, Drieling, 1/4 Guter Groschen, 1/6 Mariengroschen, 1621, Göttingen.
Vs.: gekröntes G
Rs.:16 / . III . / 21, im Vierpass mit Lilien.
0,855 g.
Schrock 1987 Nr. 136 b.
Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Münzkabinett Inv.-Nr. 05:047:094.
Jahreszahl in arabischen Ziffern, Nominalwertangabe in lateinischer Zählung.
6 Zweier der Stadt Göttingen
Stadt Göttingen. 2 Pfennig, Zweier, 1621, Göttingen.
Vs.: gekröntes G
Rs.: * 16 / I.I / 21 *, im Vierpass mit Lilien, im linken und rechten Abschnitt des Vierpasses je ein Blütenblatt.
0,695 g.
Schrock 1987 Nr. 139 a.
Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Münzkabinett Inv.-Nr. 05:047:101.
Jahreszahl in arabischen Ziffern, Nominalwertangabe in lateinischer Zählung. Münzmeisterzeichen (gekreuzte Zainhaken) revers am linken Münzrand.
Im Juni 1622 beschloss der Kreistag in Lüneburg, die Kipperei zu beenden und zum Reichsabschied von 1566 zurückzukehren. Gleichzeitig wurde klargestellt, dass die Städte des Niedersächsischen Kreises weiterhin das Münzrecht behalten und Kleinmünzen herstellen durften. Als Ende 1623 der Bedarf an Kleinmünzen im Kreis abgedeckt war, da die Städte solche Münzen rege geprägt hatten (Schrock 1987:44), verbot der Kreistag im Februar/März 1624 das weitere Ausbringen von Kleinmünzen. Parallel dazu wurden alle auswärtigen Dreier und Groschen verboten (Schrock 1987:44). Den Münzstätten des Kreises war nur mehr erlaubt, Großsilbermünzen herauszugeben. Für die Stadt Göttingen bedeutete dies allerdings das faktische Ende der eigenen Münzprägung, da insbesondere aufgrund der Kriegswirren kein geregelter Zugang zu Silber mehr gegeben war. In den Folgejahren wurden in der Stadt Göttingen kaum noch eigene Münzen geprägt. Im Jahre 1644 endete dann endgültig die Zeit der eigenen Göttinger Münzprägung.
Literatur
- Jesse 1952 = Jesse, Wilhelm 1952. Münz- und Geldgeschichte Niedersachsens. Braunschweig: Kommissionsverlag Wolfgang Brandes.
- Kindleberger 1991 = Kindleberger, Charles P. 1991. The economic crisis of 1619 to 1623. in: Journal of Economic History 51:1, 149-175.
- Klüßendorf 2009 = Klüßendorf, Nikolot. 2009. Die Kipper und Wipper (1618-1623). Realwert und Nominalwert im Widerstreit. in: Deutsche Bundesbank (Hrg.). Das Geldmuseum der Deutschen Bundesbank. Frankfurt am Main: Otto Lembeck Verlag.
- Schrock 1987 = Schrock, Ulrich E. G. 1987. Münzen der Stadt Göttingen. Bremen: Verlag Bieber; siehe auch https://www.coingallery.de/stadt/g/goettingen.htm.
- Sprenger 2002 = Sprenger, Bernd. 2002. Das Geld der Deutschen. Geldgeschichte Deutschlands von den Anfängen bis zur Gegenwart. 3. Auflage. Paderborn: Schöningh.
(Jan Steyer)
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